Auszug aus der Tugendgeschichte

Auszug aus der Tugendgeschichte

In der Zeit des alten Homer verstand man unter Tugend - abweichend von der heutigen Bedeutung - noch eine gelingende Gestaltung des Lebens als Ganzes. Bei dieser archaischen Sichtweise war das Leben und Handeln des Einzelnen unmittelbarer Gegenstand der Betrachtung.

Von Tugenden nach heutigem Verständnis wird erstmals bei Platon gesprochen. Es handle sich um moralische Eigenschaften, die lehrbar seien und die als anstrebbar gelten. Vier Kardinaltugenden listet Platon auf: Weisheit, Tapferkeit, Maßhaltung und Gerechtigkeit.

Nachdem Tugenden nun als vom Leben und Handeln des Einzelnen abgelöste Eigenschaften beschrieben waren, fanden sich bald andere Philosophen, die noch viel weiter gingen: Kleanthes, ein Stoiker, behauptete gar, bei jeder Handlung komme es nur auf die innere Absicht an, der sie entspringe, nicht aber auf das durch sie bewirkte Resultat.

Die Kirchen im christlichen Mittelalter - nachdem sie sich auf ihre Dogmen geeinigt hatten - machten sich die Philosophie untertan. Die Philosophie hatte nur noch das zu begründen, zu unterstützen und zu untermauern, was der Glauben ohnehin als unumstößliche Wahrheit besaß. Das christliche Mittelalter nimmt die 4 Kardinaltugenden Platons auf und fügt noch drei weitere hinzu: Glaube, Liebe und Hoffnung. Diese Tugenden sollen den Menschen in die Lage versetzen, das Erden-Tal unbeschadet zu durchschreiten und jenseitige Glückseligkeit zu erlangen - jenseits.

Auch Kant schrieb ein Kapitel in der Geschichte des Tugendbegriffs. Zuvor aber hatte er als Kind - durch seine Mutter - Bekanntschaft mit dem Pietismus gemacht. Pietismus ist eine religiöse Bewegung, welche die Forderung nach einer echten, gefühlsempfundenen Frömmigkeit erhebt, also die dauerhafte Ausbildung und Einprägung bestimmter emotionaler Zustände verlangt und einübt.

In seiner Tugendlehre - von den Pflichten des Menschen gegenüber sich selbst - zählt Kant auf:

  • Die Pflichten zur körperlichen Selbsterhaltung
  • Die Pflichten zur Wahrhaftigkeit und zur Selbstachtung
  • Die Pflichten gegenüber dem eigenen Gewissen, dem angeblich angeborenen Richter über sich selbst.

Das erste Gebot aber gegenüber sich selbst laute: ”Erkenne Dich selbst!” Das ist ein sehr schönes Gebot, wenn man es versteht als: ”Erkenne Dich und die Folgen Deines Handelns!” Doch Kant zielt auf das Erkennen der eigenen moralischen Absicht. Er sagt: ”Erkenne Dich selbst! ... nach der moralischen [Vollkommenheit] in Bezug auf Deine Pflicht!”

Kant hatte gefordert, die Pflicht ohne Rücksicht auf die irdische Glückseligkeit zu tun, hatte aber über den Begriff der ”Glückwürdigkeit” auf einen jenseitigen gerechten Ausgleich durch einen höheren Richter geschlossen.

Fichte, der ursprünglich angetreten war, um die Philosophie Kants zu verbreiten und klar zu stellen, kommt zu dem Ergebnis: Glückseligkeit sei nichts anderes als der Zustand des Glücks nach getaner Pflicht. Wer sie anderswo suche, der werde sie auch in einem unendlichen künftigen Leben nicht finden. Er sagt, es gebe keine jenseitige Seligkeit außerhalb des schon auf Erden erfahrbaren Glücks einer erfüllten Pflicht.

Fichte gilt als einer der glänzendsten Redner alle Zeiten. Sein Einfluß läßt sich erahnen wenn man bedenkt, daß bei der Gründungswelle der Gymnasien vor rund einem Jahrhundert in nahezu jeder deutschen Großstadt eines nach ihm benannt wurde.

 

 

[Home] [Um was es geht] [Wer dahinter steht] [Kontakte]